Marianne Golz-Goldlust
(31. Januar 1895 - 8. Oktober 1943)
 
     
 
 
 

Marianne Golz-Goldlust
Vorwort Die ganze Geschichte der Marianne kann hier heruntergeladen werden:

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Im Februar 1960 erfuhr mein Vater, daß die Bundesrepublik Deutschland ihn mit DM 1.500,- für den von seiner Ehefrau Marianne erlittenen "Freiheitsentzug" im Gefängnis Prag-Pankraz zwischen dem 19. November 1942 und dem 8. Oktober 1943, 16.43 Uhr entschädigen wird. Für das, was dann um 16.44 Uhr geschah, wurde bis heute keine Entschädigung bezahlt.
 
  Dafür erhielt ein Herr Alois Weiss am 31. Oktober 1943 eine Entschädigung in Höhe von Reichsmark 30,-- vom Oberstaatsanwalt beim Deutschen Landgericht in Prag. Abgegolten war damit seine Tätigkeit im Prager Gefängnis Pankratz. Im Gefängnisbuch steht unter dem Eintrag 219 folgendes zu lesen:

Goltzova, Marianne geb. 30.1.1895 Wien 8 Kls 90/43 25.5.43 8.10.43 16.44 Uhr

Um 16.44 Uhr hat der Scharfrichter Alois Weiss den Justizfall Aktenzeichen 8 Kls 90 / 43 beim Sondergericht am Deutschen Landgericht in Prag zum Abschluß gebracht.
         
  Die Suche nach Marianne beginnt
 

Hans Golz
Ich bin 1947 in London geboren. Meine Mutter, Ida Reiss, jüdischer Flüchtling aus Straznice in Mähren, hatte meinen Vater 1940 in London kennengelernt. Meine Eltern wollten mich so erziehen, daß ich weder Deutscher noch Jude sein sollte. Als meine Eltern 1960 mit mir nach Westdeutschland zurückkehrten, holte mich das Schicksal unserer Familie Schritt für Schritt ein. Die Suche nach der eigenen Identität dauerte lange. Das Gefühl Jude zu sein, wurde immer stärker, während mein Wissen über das Schicksal unserer Familie relativ gering war. 1985 las ich das Buch "Wir wissen nicht was morgen wird, wir wissen wohl was gestern war" von Peter Sichrovsky. In der Widmung steht folgender Satz.

"Für meine Großeltern, die ich nie vergessen werde, ohne sie gekannt zu haben."

Das Buch beschreibt die schwierige Identitätssuche von fünfzehn Berliner und Wiener Juden, die nach 1945 geboren wurden. In einigen Fällen waren die Eltern schon tot und standen somit für Fragen nicht mehr zur Verfügung. Hier erkannte ich meine Lage wieder: mein Vater war 1969 und meine Mutter 1976 verstorben. Könnte es vielleicht eine andere Möglichkeit geben, die vielen Fragen, die sich mir nach und nach stellten, beantwortet zu bekommen? Ich kam auf die Idee, Antworten in den Entschädigungsakten meines Vaters zu suchen. Beim Entschädigungsamt Berlin wurde ich fündig.
So saß ich eines morgens in Berlin-Schöneberg in einem Amtszimmer und hatte vor mir eine vergilbte große Aktenmappe. Ich begann mit der Lektüre.
 


Hans und Marianne Golz-Goldlust
Mein Vater hatte nach seiner Rückkehr aus England einen Prozeß gegen die Bundesrepublik Deutschland geführt, weil die Behörden sich weigerten, bestimmte Krankheiten, die er als 'verfolgungsbedingt' ansah, anzuerkennen. Im Zusammenhang mit dem Prozeß mußte mein Vater sich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen. In der Akte befand sich nun das umfangreiche Gutachten des staatlich beauftragten Psychiaters, im Grunde ein kommentierter Lebenslauf meines Vaters.
Der folgende Absatz führte zu meiner Suche nach Marianne:

"Meine Frau Marianne wollte (im Sommer 1939) zunächst nach England nachkommen. Als aber dann der Krieg ausbrach, war diese Möglichkeit vorbei. Sie hat nie Angst gehabt. Sie hat sofort damit begonnen, Tschechen und Juden die Flucht über Wien nach Italien zu ermöglichen. Sie hat Verbindungen zur Gestapo aufgenommen und wußte, wen sie bestechen konnte, damit die Leute falsche Papiere bekamen. Tschechen, Volksdeutsche und Juden trafen sich einmal in der Woche in ihrer Wohnung. Sie wurde angezeigt und einmal, als alle bei ihr in der Wohnung waren, wurden sie verhaftet. Die Juden wurden einfach ins KZ gesteckt, und den Tschechen und meiner Frau wurde der Prozeß gemacht. 1942 wurde meine Frau zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Sie saß wochenlang in der Todeszelle und wurde erst Ende 1943 hingerichtet. Das Schicksal meiner Frau ist in einem Buch geschildert, das ein Tscheche, der von den Deutschen als Fotograf im Gefängnis beschäftigt wurde, nach dem Krieg herausgegeben hatte. Das Buch heißt 'Ich klage an'. Dieser Mann hat die Geschichte meiner Frau geschrieben, und in dem Buch ist auch ein Gefängnisbild meiner Frau abgebildet. Auch Briefe meiner Frau, die sie als Kassiber an ihre Schwester hinausgeschmuggelt hat, sind in diesem Buch veröffentlicht."
 
  Ich erinnerte mich plötzlich, daß mein Vater mir irgendwann erzählt hatte, daß er schon einmal verheiratet gewesen sei, daß er diese Frau sehr geliebt habe, und sie von den Nazis ermordet worden sei. Nun wollte ich unbedingt das erwähnte Foto dieser Frau sehen.
Einige Wochen später hielt ich das tschechische Buch in Händen und sah das Foto von Marianne. Mehr als 20 Seiten des Buches befaßten sich mit ihr. Die Übersetzung der betreffenden Seiten löste sehr viel in mir aus.
 
  "Marianne Golz war Wienerin. Eine sehr intelligente Frau. 48 Jahre alt, graue Haare. Nicht einmal in diesem schmutzigen Loch hat Marianne die Größe ihrer Persönlichkeit verloren. Falls man über jemandem sagen kann, daß sie in diesen armseligen und schmachvollen Verhältnissen eine 'Edelfrau des Geistes' war, so konnte es nur sie sein. Sie war die Dolmetscherin zwischen den Wachtmeistern und den Gefangenen. Sie wurde von allen sehr gerne gehabt und war sehr beliebt wegen ihrer positiven Gedanken und ihrer politischen Weitsicht.
Marianne wußte ein paar Tage vorher, daß sie hingerichtet werden würde. Deshalb besorgte sie sich Gift und nahm es in der Todeszelle zu sich. Die Wachtmeister fanden sie in einem tiefen tödlichen Komma und bekamen Angst vor Untersuchungen. Deshalb schleppten sie Marianne Golz vor den Staatsanwalt, und so wurde sie in 'ohnmächtigem' Zustand hingerichtet."
         
 

Marianne, ca. 1929
Das Leben der Marianne
  Maria Agnes Belokosztolszky wurde am 30. Januar 1895 in Wien-Hernals geboren. Sie entstammte einer katholischen Familie. Der Vater war Pole, die Mutter Tschechin. Nach der Matura in Wien machte sie eine Ausbildung als Tänzerin und Sängerin und nahm den Bühnennamen Marianne Tolska an. Die erste Erwähnung als Opernsängerin stammt vom Juli 1921, wo sie als Mitglied des Ensembles des Wiener Raimund Theaters bei einem Gastspiel in Linz auftrat. Marianne schreibt über sich selber im Jahr 1921:
 
  "Ich erinnere mich an mich selber, als ich 26 Jahre alt war. Ich kam mir gar nicht so jung vor, und kindlich war ich überhaupt nicht. Ich lehnte alle 'jungen' Rollen im Theater ab. Ich wollte gar nicht jung sein. Übrigens war ich es auch nie. Ich war viel reifer, habe sehr jung geheiratet, und dann war ich außerdem viel mit älteren Frauen zusammen. Mit 26 war ich selbständig und eine wohlhabende Frau."
 

Marianne als Tänzerin Cagliari
Am 12. Juli 1922 tritt sie in Stuttgart in der Operette 'Wiener Blut' auf.

"Es ist erfreulich, daß das Schauspielhaus diese reizende Operette in einer so befriedigenden Aufführung herauszubringen vermag. Als Tänzerin Cagliari sieht Marianne Tolska nicht nur sehr hübsch aus, sondern spielt und singt auch weit besser als sonst festzustellen war; ein wenig Ausruhen kann oft Wunder tun."
 
  Zwischen Oktober 1922 und September 1924 ist Marianne als Ensemblemitglied am Salzburger Stadttheater engagiert. Hier lernte sie den österreichischen Operettenkomponisten Nico Dostal kennen.

"Meine erste Saison unter Direktor Strial in Salzburg lief sorglos. Er brachte das Sängerpaar Rudolf Worelli und Marianne Tolska mit, das in meinem Leben noch eine Rolle spielen sollte. Bevor wir die Operette 'Madame Pompadour' als Neuheit in Salzburg inszenierten, fuhr unsere Sopranistin Tolska nach Wien, um sich Fritzi Massary im Carl Theater anzusehen. Die Tolska hat für unsere Salzburger Vorstellung der Massary alles abgeguckt und war eine glänzende Pompadour."
 
  Der Höhepunkt ihrer Karriere als Opernsängerin ist der gemeinsame Auftritt mit Richard Tauber in 'Die Fledermaus' am 30. Juli 1923 im Stadttheater in Salzburg.
 
  "Die Fledermaus mit Richard Tauber als Eisenstein wurde, wie zu erwarten war, durch das flotte, temperamentvolle Spiel und den prächtigen, sorgfältig gepflegten Tenor des berühmten Gastes ein Bombenerfolg; aber es darf anerkennend hervorgehoben werden, daß die heimischen Kräfte, zum Teil wenigstens, hinter Herrn Tauber nicht zurückstanden. Fräulein Tolska fügte sich glücklich in den Rahmen."
 
  Vierzehn Tage vorher, am 16. Juli 1923, hatte Marianne den Wiener Musikverleger Ernst Wengraf geheiratet. 1924 zog sie mit ihm nach Berlin, wo er eine Filiale seines Verlages eröffnet hatte. Es war ihre zweite Ehe. Über die Berliner Zeit schreibt Nico Dostal:
 
  "Als ich am Anhalter Bahnhof ausstieg, fühlte ich mich in dieser Stadt sogleich wieder heimisch. Erst einmal schloß ich mich dem Kreis der Marianne Tolska-Wengraf an, die inzwischen vom Verleger Wengraf in gutem Einvernehmen geschieden war. Marianne pflegte in ihrer Wohnung am Wittenbergplatz unternehmungslustige Leute aus der Theater- und Werbebranche um sich zu versammeln. Man konnte da allerhand Bekanntschaften machen und nützliche Verbindungen anknüpfen."
   

Marianne und Hans in Marienbad
Vermutlich hat Marianne bei einem dieser Treffen im Jahr 1924 meinen Vater, Hans Werner Goldlust, der damals Leiter der Anzeigen- und Vertriebsabteilung der im Rowohlt Verlag erscheinenden Literarischen Welt war, kennengelernt. Mein Vater hatte Anfang der 20er Jahre den Namen 'Golz' angenommen, weil er als assimilierter Jude die Stigmatisierung durch seinen Namen ablehnte. Angeblich aus Rücksicht auf seinen Vater hat er aber seinen neuen Familiennamen nie offiziell angemeldet. So entstand der Bindestrich-Name: 'Golz-Goldlust'.
Redakteur der Literarischen Welt war der Journalist Willy Haas. Als im Frühjahr 1927 die Zeitschrift vom Rowohlt Verlag zum Verkauf angeboten wurde, übernahmen mein Vater und Willy Haas die Zeitschrift. Mein Vater wurde zum Geschäftsführer bestellt.
Am 21. März 1929 heirateten Marianne und Hans im Standesamt Berlin-Wilmersdorf. Hans Golz schreibt über seine Frau:
 
  "Ich war sehr stolz auf meine Frau, und durch meine Frau kam ich auch in die entsprechenden Kreise. Meine Frau war für mich in jeder Beziehung ein fester Halt. Ich habe mich immer auf sie verlassen können. Sie selbst war stets optimistisch und meinte: 'Mir wird es nie schlecht gehen im Leben, und Du brauchst deshalb auch keine Sorgen zu haben.' "
 
  und Mariannes Nichte, Erika Haala, sagt:
 

Marianne
"Sie war eine sehr schöne Frau, sehr imponierend. Sie hat gern Farben getragen und sie war immer gut angezogen. Sie war ein sehr auffallender, ein sehr dominierender Typ, sehr vital und sehr lebhaft. Ein Mensch, der sehr viel Lebenskraft ausgestrahlt hat. Ich hab lang nachgedacht, Lebenslust ist, glaube ich, ein falscher Begriff. Lebenskraft, etwas, das sehr dominiert hat. Wo sie wirklich war, da hat sie die Szene beherrscht. Ob es von der Bühne her kam oder von ihrem Temperament, weiß ich nicht, aber es hat uns alle sehr bestimmt. Sie war ein Mensch, der sehr viel Charme gehabt hat, sehr viel Warmherzigkeit, sehr viel Fröhlichkeit. Sie war die sehr geliebte Tante."
 
  Mit der Machtübernahme durch Hitler in Januar 1933 waren sich Hans Golz und Willy Haas der Gefahr, die für sie als Juden drohte, bewußt. Noch in März 1933 verkauften sie die Zeitschrift und emigrierten gemeinsam mit ihren Ehefrauen 1934 nach Prag
 
"Ich versuchte, mit Willy Haas eine neue Zeitschrift. 'Die Welt im Wort' im Orbis-Verlag herauszugeben. Wir hatten eine Kartothek unserer alten Bezieher und wir hofften, daß wir von Prag aus unsere Zeitschrift in Deutschland absetzen könnten. Aber diese Hoffnung erwies sich als Fehlschlag. 1935 bekam ich die Vertretung der französischen Agentur 'Mitropress', außerdem war ich für das 'Neue Wiener Journal' tätig."
 
  Marianne scheint in dieser Zeit nicht berufstätig gewesen zu sein. 1936 emigrierten die Eltern und die Schwester von Hans Golz ebenfalls aus Berlin nach Prag.
Am 15. März 1939 wurde die Tschechische Republik durch die Nationalsozialisten okkupiert.
 

Marianne, ca. 1940
Hans Golz flüchtete sofort von Prag nach Polen und gelangte auf dem Seeweg im Sommer 1939 nach England. Aus der umfangreichen Korrespondenz zwischen Rosa Goldlust in Prag und ihren Kindern Hans und Erna in London geht hervor, daß Marianne in Prag zurückblieb, um ihren Schwiegereltern und ihrer Schwägerin zu helfen und ebenfalls um die eheliche Wohnung aufzulösen.
Obwohl sie im Juli 1939 die notwendigen Ausreisepapiere besaß, um nach England zu ihrem Mann nachreisen zu können, gelang es ihr nicht, die inzwischen zum Protektorat Böhmen und Mähren umbenannte Tschechische Republik vor Kriegsausbruch Anfang September 1939 zu verlassen.
         
  Mariannes Verhaftung und Gerichtsverfahren
 


Das Gefängnis Prag-Pankraz
Die Quellen über die Zeit bis zu ihrer Hinrichtung am 8. Oktober 1943 sind vielschichtig. Sie setzen sich zusammen aus

Erzählungen von Erika Haala, der Nichte von Marianne,

ein Schreiben von Dr. Friedrich Seidl, einen ehemaligen Untermieter in der Wohnung von Marianne,

einem Interview mit Frau Erna Steiner, die zusammen mit ihrer Mutter und anderen am Abend des 19. November 1942 in Mariannes Wohnung von der Gestapo verhaftet wurde,

Abschnitten über Marianne und den ihr vorgeworfenen Tatzusammenhängen aus der Anklageschrift, aus dem Urteil und aus der Urteilsbegründung des damaligen Sondergerichts beim Deutschen Landgericht in Prag vom 18. Mai 1943,

schriftlichen Äußerungen von Marianne aus der offiziellen Gefängnispost mit ihrer Schwester Rosi in Wien und geschmuggelten Kassibern, die Marianne zwischen ihrer Verhaftung am 19. November 1942 und Hinrichtung am 8. Oktober 1943 an ihre Schwester geschrieben hat,

schließlich aus Abschnitten von Kassibern, die Marianne mit dem Mitgefangenen Richard Macha und dem Gefängnisfotografen R. Karel austauschte, und die in dem Buch "Zaluji" (Deutsch: "Ich klage an") 1946 in Prag veröffentlicht wurden.
 
  Hieraus ergibt sich folgendes Bild:
Marianne gehörte ab 1939 einer Widerstandsgruppe an, die Juden zur Flucht aus Prag verhalf, indem sie gefälschte Ausweise und Reisedokumente besorgte. Marianne gelang es durch Überweisungen an ihrer Schwester Rosi in Wien, Teile des Geldvermögens der Flüchtenden außer Landes zu bringen.
 
  "Durch irgendwelche Beziehungen oder Kontakte zur Gestapo wußte Marianne, wer auf der nächsten Deportationsliste stand. Diese Leute wurden verständigt und mit einer Art Organisation in der Nacht über die Grenze gebracht, und da wurde das Geld an meine Mutter geschickt."
"Ich kannte Frau Golz nur über sechs Ecken. Wir hatten eine chiffrierte Namensliste. Ich habe nie gewußt, daß sie Golz heißt. Bis sie dann bei meiner Mutter Kundin war. Ich habe sie wiedererkannt. Permanent und vorsätzlich hat Marianne geholfen, Juden da heraus zu bekommen. Sie war eine wunderbare Frau und hat natürlich dicht gehalten. Wir haben von Anfang an ausgemacht, wenn irgend etwas auffliegt, nimmt sie alles auf sich".
 
    Es soll Marianne auch gelungen sein, Menschen aus dem Ghetto Theresienstadt herauszubekommen. Zudem gelangten über einen geheimen Kontakt zu ihrem Mann Informationen aus dem besetzten Prag an die tschechische Exilregierung nach London.
 
  Alle zwei Wochen fanden an einem Donnerstag abend 'Gesellschaftliche Treffen' in Mariannes Wohnung statt.
 
  "Ich weiß, daß ich ein oder zwei Mal mit meinem Freund an irgendeinem Treffen, bei dem größtenteils verfolgte Menschen anwesend waren, teilgenommen habe". In der Anklageschrift wurde daraus die Behauptung, daß bei diesen Treffen "mit allen Mitteln gegen das Reich gehetzt worden sei."
 
  Bei dem Treffen am Donnerstag, dem 19. November 1942 wurden alle Anwesenden von der Gestapo verhaftet.
 
  "Das war ein Donnerstagskreis, bei dem ich mit meiner Mutter das erste Mal dabei war. Wir sind dort um acht/halb neun angetanzt, und es waren viele Leute da. Die Gestapo macht die Tür auf und sagt: 'Auf Sie haben wir ja schon gewartet'. Wir sind dann in Haft gekommen, in die politische Abteilung und hatten es viel schlechter als die Mörder und Verbrecher."
 
  Gleichzeitig wurde Mariannes Schwester Rosi in Wien von der Gestapo verhaftet.
 
  "Meine Mutter hat gewußt, daß es um Fluchthilfe für Juden aus Prag ging und um das Geld, daß über meine Mutter an diese Menschen weitergegeben wurde, denn danach wurde sie gefragt. Wir haben erfahren, daß Marianne am selben Tag in Prag verhaftet worden war, und daß man ihr den Prozeß machen wird."
 
  Marianne beschreibt, wie es zu der Verhaftung kommen konnte:
 
  "Evzenie Synek, eine Jüdin hat mich und zehn weitere Menschen auf dem Gewissen. Sie ist Agentin der Gestapo. Sorgen Sie, Herr Karel, dafür, daß das Doppelspiel der Frau Synek bekannt wird. Nicht daß man ihr eines Tages Gloriolen umhängt, die sie überhaupt nicht verdient!"
 
  Marianne hat bei ihrer Vernehmung durch die Gestapo die Mitverhafteten entlastet, wie sie es vorher mit den Menschen in ihrem Umkreis vereinbart hatte.
 
  "Sie hat alles auf sich genommen, und wir waren die Unschuldslämmer, die zufällig bei einem Gesellschaftsabend verhaftet worden sind. Nachdem Marianne ausgesagt hat, daß wir mit der Angelegenheit nichts zu tun haben, daß wir nur ihre Gäste waren, sind wir frei gekommen."
 
  Am 18. Mai 1943 fand der Prozeß gegen Marianne und 17 weitere Personen vor dem Sondergericht am Deutschen Landgericht in Prag statt. Es war ein Schauprozeß, der nur im Zusammenhang mit der Niederlage der deutschen Wehrmacht in Stalingrad im Winter 1942/43 begriffen werden kann. Mit dieser Niederlage wendete sich der Krieg gegen Deutschland. Die Justiz bekam zur Aufgabe, mit aller Härte gegen jegliche Form des Widerstandes im Innern des Reichs und im Protektorat Böhmen und Mähren vorzugehen. Der Prozeß und das Urteil sprechen eine deutliche Sprache, er sollte abschreckend wirken.
 

Das letzte Foto von Marianne
vor ihrer Verhaftung in Prag 1942
"Seit 1940 war die Angeklagte mit dem Angeklagten Goldschmidt gut bekannt und häufiger bei ihm zu Gast. Dort lernte die Angeklagte den Angeklagten Zapotecky kennen. Sie erfuhr, daß er Juden dazu verhalf, illegal über die Protektoratsgrenze zu gelangen. Weil er sich einem Transport (gemeint ist Deportation, Anm. d. Verf.) nicht stellen wollte, hat sich der Angeklagte Goldschmidt nach Wien abgesetzt. Etwa zwei Wochen später erhielt die Angeklagte aus Wien einen fernmündlichen Anruf ihrer dort lebenden Schwester Haala, die ihr mitteilte, daß der Angeklagte Goldschmidt bei ihr vorgesprochen habe. Von diesem Zeitpunkt an wurden zwischen den beiden Angeklagten mehrere Briefe gewechselt. ...
Die Angeklagte Golz-Goldlust riet dem Angeklagten Kühnel, er möge sich von Zapotecky über die Grenze bringen lassen. Nach der Aussage des Angeklagten Zapotecky übergab der Angeklagte Kühnel der Angeklagten Golz-Goldlust 20.000 Kronen mit der Bitte, ihm, wenn er in Wien angekommen sei, dorthin kleinere Beträge unter der Adresse der Schwester der Angeklagten Golz-Goldlust, Rosi Haala, zu überweisen. Der Angeklagte Goldschmidt war durch die Angeklagte Golz-Goldlust über die bevorstehende Ankunft des Angeklagten Kühnel unterrichtete. Der Angeklagte Kühnel erklärt ausdrücklich, daß die Angeklagte Golz-Goldlust ihm den Angeklagten Zapotecky empfohlen und auch seine Dienststelle sowie seine Telefonnummer genannt habe.
Die Angeklagte Golz-Goldlust ist zum dritten Mal verheiratet. Ihr jetziger Ehemann ist Volljude. Von den früheren Ehemännern war ebenfalls einer Volljude gewesen. Aus der Tatsache, daß die Angeklagte Golz-Goldlust durch ihre verschiedenen Ehen mit Juden geistig vollständig verjudet ist, freundschaftlichen Verkehr mit Juden, Halbjuden und Judenfreunden pflegt, kann geschlossen werden, daß die Angeklagte Golz-Goldlust ohne jeden äußeren und inneren Zwang auch für die Zukunft anderen ihr bekannten Juden bei dem Versuch, sich staatlichen Maßnahmen durch Emigration zu entziehen, behilflich gewesen wäre."
Und weiter: "Ein ganz anderer Rassentyp ist die Angeklagte Golz-Goldlust. Diese hat sich mit einer agilen Geschäftigkeit in den jüdischen Kreisen umgetrieben und sich für ihre jüdischen und halbjüdischen Freunde eingesetzt. Sie hat nicht aus einer Zwangslage, sondern aus innerer Neigung heraus gehandelt. Ihrem Bestreben, sich ihren jüdischen Freunden gefällig zu erweisen, entspricht ihre feindselige Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat".
 
  Von den 18 Angeklagten wurden Marianne und neun weitere Angeklagte am 18. Mai 1943 als "Saboteure wegen der Begünstigung von Reichsfeinden" zum Tode verurteilt.
Im Juni 1943 stellte ein Teil der zum Tode Verurteilten ein Gnadengesuch. Am 19. Juli 1943 folgte ein Gnadengesuch von Marianne. Die Gesuche wurden von dem Oberstaatsanwalt Dr. Ludwig beim Deutschen Landgericht in Prag in einem 'Gnadenbericht' bearbeitet. Zu Marianne heißt es dort:
 
  "Die Private Marianne Golz-Goldlust wurde am 18. Mai 1943 als Saboteur und Reichsfeind, beziehungsweise wegen Begünstigung von Reichsfeinden, mit dem Tode durch Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit bestraft.
Die besonderen Verhältnisse im Protektorat Böhmen und Mähren erfordern die Vollstreckung der Todesstrafe. Ich schlage vor, von dem Gnadenrecht keinen Gebrauch zu machen und der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen."
Am 21. September 1943 wird ein weiterer Antrag beim 'Reichsminister der Justiz' in Berlin zur Aufhebung der Todesurteile verworfen.
"In der Strafsache gegen die vom Sondergericht bei dem Deutschen Landgericht in Prag am 18. Mai 1943 zum Tode Verurteilten habe ich mit Ermächtigung des Führers im Einvernehmen mit dem Reichsprotektor in Böhmen und Mähren beschlossen, von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch zu machen."
         
 
  Mariannes letzter Brief:
 

Gefängnisfoto von Marianne
"Pankratz, den 5. Oktober 1943

Liebes Rosilein!

hier nun mein letzter Gruß. Ich kann Dir nur mitteilen, daß ich das Spiel ums Überleben verloren habe. Ich werde versuchen als Heldin abzutreten. Weine nicht! Das Sterben ist hier etwas alltägliches. Das Leben war bis auf die letzten zwei Stunden schön. Bis zum letzten Augenblick hatten mich hier alle lieb. Bis zum letzten Augenblick war ich glücklich. Ich habe alles getan, daß mein Tod eines Tages gerächt wird. Ich bleibe in Deiner Erinnerung, in Deiner Nähe.

Ich küsse Dich

Marianne"
         
 
  Mariannes Tod
 

Die Guillotine im Gefängnis
Prag-Pankraz
"Prag III, den 8.Oktober 1943
An den Generalstaatsanwalt bei dem Deutschen Oberlandesgericht Prag
Betrifft: Strafsache gegen Zapotecky und Andere

Das Urteil gegen Marianne Golz-Goldlust wurde am 8. Oktober 1943 um 16.44 Uhr vollstreckt.

Es vergingen:

1.) Von der Vorführung der Verurteilten bis zur Übergabe an den Scharfrichter 3 Sekunden.

2.) Von der Übergabe bis zur Vollstreckung 6 Sekunden.

Dies geschah ohne Zwischenfall.

gez. i.V. Rehder-Knöspel, Erster Staatsanwalt."
         
  Nachwort
 
  Was geschah mit den beteiligten Richtern Albrecht und Hartmann und den Staatsanwälten Ludwig und von Zeynek nach dem Krieg?
 
  Dr. Erwin Albrecht (* 21.2.1900 in Düsseldorf) war nach 1945 niedergelassener Anwalt in Saarbrücken und vom 18. Dezember 1955 bis 2. Januar 1961 Landtagsabgeordneter im saarländischen Landtag. Nach dem Bekanntwerden seiner Tätigkeit in Prag wurde er am 6. Dezember 1958 aus der CDU-Fraktion ausgeschlossen.

Dr. Robert Hartmann (*1.7.1901 in Heilberscheid) wurde nach 1945 Oberamtsrichter in Königswinter.

Dr. Franz Ludwig (*7.4.1899 in Mainz) wurde nach 1945 Staatsanwalt in Düsseldorf.
Dr. Wolfgang Zeynek (* 30.9.1908 in Prag) wurde nach 1945 Landgerichtsrat in Nürnberg.

Der Scharfrichter Alois Weiss (* 16.10.1896 in Ruma, Kroatien) lebte ohne Strafverfolgung nach 1945 in Regensburg.
 
  Mariannes Epilog
 
  Am 9. Juni 1988 wurde Marianne Golz-Goldlust posthum vom Direktorium der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem die Medaille der Gerechten der Völker verliehen. Ihr zu Ehren wurde am 28. November 1988 im Olivenhain der Gedenkstätte der Setzling Nr. 806 gepflanzt.

Die Gedenktafel im Olivenhain
von Yad Vashem