Halte inne! - Das Haltestellen-Projekt (1998)    
     
 
   
   
   

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Als Kind jüdischer Eltern, die sich nach England retten konnten, beschäftige ich mich schon lange mit der Frage von Kunst und Gedenken an die Shoah. In der Vergangenheit habe ich Orte und Gedenkstätten des NS-Terrors in Ost- und Westeuropa besucht, um zu sehen wie Kunst dem Gedenken dient.
Besucht man diese ehemaligen Lager des Nationalsozialismus oder folgt man dem Buch 'Gedenken und Lernen an historischen Orten' durch die Straßen von Berlin, so wird einem schnell klar, wie wichtig in diesem Zusammenhang Kunst als Vermittler von Erinnerung ist. Kunst spricht zuerst den Betrachter emotional an, führt aber dann zu einer Reflexion, sowohl über die Form als auch den Inhalt des Kunstwerks.
Ich bin überzeugt, daß die Art der Ausführung eines Kunstwerks entscheidend ist für das Gelingen einer Politik des Gedenkens. Hierbei ist es meines Erachtens keine Frage der Ästhetik oder der Gefälligkeit eines Kunstwerkes, sondern allein die Tatsache, daß es dem Kunstwerk gelingt, erstens den Betrachter zum Innehalten zu bringen und zweitens ihn 'erreicht', daß heißt in unserem Fall eine Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus auslöst.
In Berlin, wo seit mehr als einem Jahrzehnt in vielen Bezirken Gedenkstätten eingerichtet worden sind, hat mich die Frage lange beschäftigt, warum es an dem Ort von Eichmanns 'Judenreferat' in der Kurfürstenstraße 115 / 116 kein Erinnern gibt.
Nach der inzwischen zehnjährigen Auseinandersetzung über das 'für' und 'wider' eines nationalen Holocaust-Denkmals in Berlin bin ich zu der Erkenntnis gekommen, daß die Entscheidung über das Zustandekommen von Denkmälern nicht allein der Politik überlassen werden darf.
1994 / 95 habe ich zusammen mit Alexander Richter und Michael Kammertöns an dem Wettbewerb für das Holocaust-Mahnmal in Berlin teilgenommen.
 

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Die BVG-Wartehalle ist meine zweite 'Intervention'. Bei der umgewidmeten Wartehalle der BVG Buslinie 100 in der Kurfürstenstraße 115/116 handelt es sich um das Zurückholen eines vergessenen Ortes in die Gegenwart. Es war mir klar, daß meine Idee eine BVG-Wartehalle als Mahnmal zu verwenden, nicht ohne Hilfe zu verwirklichen sein würde.
Zuerst mußte die Firma Wall bereit sein mir eine BVG-Wartehalle zur Verfügung zu stellen. Hans Wall benötigte nur zwei Tage, um meinen Ansinnen zuzustimmen. Da es bis dahin an dieser Haltestelle der Buslinie 100 keine Wartehalle gab, mußte seine Firma viel Vorarbeit leisten.
Für die Inhalte der Tafeln war der Sachverstand der Topographie des Terrors nötig. Prof. Reinhard Rürup war ebenfalls bereit das Projekt zu unterstützen. Er hat sich sowohl um die notwendige Recherche gekümmert, als auch die vorliegende Texte entwickelt.

Ich möchte im folgenden die Hintergründe nennen, warum ich diesen 'Un-Ort' (Ulrich Eckard, Berliner Festspiele) zu einem Mahnort vermittelst der Kunst machen wollte.
 
  Persönliche Beweggründe

Zuallererst die Verantwortung gegenüber meinen von den Nationalsozialisten ermordeten jüdischen Vorfahren. Da ich in Deutschland und Berlin lebe, möchte ich dazu beitragen, daß dieses Verbrechen nicht vergessen wird. Als Jude in Deutschland und Berlin zu leben bedarf übrigens immer der besonderen Anstrengung.

Mein Nichtverstehen, warum in Berlin, wo an so viele Orte nationalsozialistischen Verbrechens erinnert wird, nicht auf den Standort von Eichmanns sogenanntem 'Judenreferat' hingewiesen wird.

Die Nachfrage im Kunstamt Schöneberg ergab, daß der Eigentümer des Grundstücks, auf dem heute das Hotel 'Sylter Hof' steht, keine Bereitschaft zeigte, eine Gedenkplatte an der Außenfront des Hotels zuzulassen.
 

Ehemaliges jüdisches Brüderhaus in der
Kurfürstenstraße 116

Politische Beweggründe

Gedenkorte und Gedenkstätten werden meistens von politisch engagierten Bürgern bewußt aufgesucht. Gedenkorte mitten im Alltagsleben können vielleicht auch die weniger interessierten Bürger ansprechen.

Bushaltestellen sind Orte des Transits und des Verweilens. Die Menschen müssen dort für einen bestimmten Zeitraum innehalten. Meistens sieht man wie die Menschen dort in den Auslagen der Geschäfte schauen, oder einfach die Umgebung betrachten. In diesem Fall soll das Verweilen mit Informationen über die Vergangenheit des Ortes gefüllt werden.

Die Haltestelle an der Kurfürstenstraße liegt an der Linie 100, einer Buslinie, die sowohl von der BVG als auch von der Berlin Tourismus AG beworben wird, weil gerade diese Linie Touristen an zentralen historischen Orten der Hauptstadt vorbei führt . Nun soll auf die dunkle Geschichte Berlins als Hauptstadt des Dritten Reichs hingewiesen werden.

 
  Künstlerische Einflüsse

Marcel Duchamps 'readymades' oder 'objets trouvés' also vorgefundene Gegenstände, die der Künstler zu Kunstwerken erklärte.

Das Projekt 'Bus Shelter IV' des amerikanischen Künstlers Dennis Adams. Adams bekam 1987 den Auftrag, eine Wartehalle am Domplatz in Münster zu entwerfen, wodurch sie zu einer Skulptur wurde. Die Flächen seiner Halle hat der Künstler mit Fotos aus der modernen deutschen Geschichte gestaltet.

Die 80 Tafeln von Renate Stih und Frieder Schnock im Bayerischen Viertel in
Berlin (1993/94) und deren Beitrag 'Bus Stop' zum Holocaust-Wettbewerb (1994/95).

Bei den 80 Tafeln dringt das Gedenken massiv in den Alltag der Bewohner des Bayerischen Viertels ein. Bei dem Beitrag zum Holocaust-Wettbewerb sollte die vorgesehene Denkmalsfläche 'transitorisch' verwendet werden. Auf der Fläche sollte sich eine, von den beiden Künstlern entworfene, Haltestelle befinden, von der aus Busse zu den originären Orte des nationalsozialistischen Unrechts fahren sollten. An der Haltestelle sollten Text- und Videoinstallationen vor der Abfahrt über diese originären Orte informieren.

'Concept Art', wo der Künstler die Idee (das Konzept) hat, das mit anderen zusammen umsetzt wird.